Psychotherapeut Dietmar Luchmann › Texte zur Psychotherapie › 400 Prozent Gewinn durch kognitive Psychotherapie
"400 Prozent Gewinn durch kognitive Psychotherapie — ist das ein Scherz, Herr Doktor?"
Vom Wahn der Kapitalrendite zur Weisheit des inneren Glücks: Wie ein Vermögender erkennt, dass sein wichtigstes Kapital seine psychische Gesundheit ist.
Dietmar Luchmann12. Juli 2025
Dr. Friedrich Weihenruh, ein erfahrener Psychotherapeut, dessen freundliche Augen im Kontrast zu seinem scharfen Verstand standen, betrachtete das Bündel Elend, das in dem sündhaft teuren Ledersessel vor ihm kauerte.
Er machte einen Hausbesuch bei Bodo von und zu Kleingläubig, Erbe einer Teebeutel-Dynastie und Sammler von Ängsten, lähmender und exquisiter als die seltensten Orchideen.
"Er hat es am Telefon gemacht", wimmerte Kleingläubig und knetete ein Taschentuch, das vermutlich mehr kostete als Dr. Weihenruhs Monatsmiete.
"Einfach so. Zwischen dem Wetterbericht und einer Anekdote über sein Golf-Handicap. 'Herr von und zu Kleingläubig', säuselte er, 'ich habe hier eine einmalige Gelegenheit. Eine Währungsspekulation. US-Dollar. Ein todsicheres Ding.'"
Dr. Weihenruh seufzte. Es war ein tiefes, menschliches Seufzen, eine Mischung aus Mitleid und einer leisen Belustigung über die Absurditäten, zu denen die Gier das menschliche Gehirn verleitet.
"Und Sie, ein Mann, der den Pizzaboten nur durch den Türspion bezahlt, um Augenkontakt zu vermeiden, haben am Telefon einem Fremden einen Betrag anvertraut, der die Einnahmen mancher Gemeinden übersteigt?"
"Er klang so … kompetent!", verteidigte sich Kleingläubig schwach. "Er sprach von 'Portfolio-Diversifikation' und 'Absicherung gegen Marktschwankungen'. Er versprach mir eine Rendite von sechs Prozent! Sechs!"
Dr. Weihenruh lächelte nachsichtig. "Sechs Prozent. Vor Steuern, nehme ich an? Lächerlich. Ein Almosen. Das ist die Art von Rendite, die man einem Hamster für das Laufen in seinem Rad anbietet. Und jetzt ist das Geld weg, nicht wahr? Verdampft im digitalen Äther, weil der US-Dollar beschlossen hat, etwas anderes zu tun, als es Ihr Bankberater in seiner Kristallkugel gesehen hat."
Kleingläubig nickte und ein einzelnes, teures Tränchen kullerte über seine Wange. "Eine Million. Futsch. Mein Portfolio blutet."
"Eine Million", wiederholte Dr. Weihenruh sanft und lehnte sich vor. Seine Augen blitzten nicht raubtierhaft, sondern mit dem Wissen, wie anstrengend vernünftiges Denken sein kann.
"Lassen Sie uns über Ihr wirkliches Portfolio sprechen, Herr von und zu Kleingläubig. Geld kann Sinn stiften, solange es Diener bleibt. Sobald es Herr wird, frisst es Herz und Hirn. Lassen Sie uns über eine richtige Investition reden. Ich biete Ihnen eine Rendite, die Ihren Bankberater aussehen lässt wie einen Erstklässler, der versucht, mit Monopoly-Geld ein Eis zu kaufen."
Kleingläubig sah auf. Seine Gier kämpfte sichtlich mit seiner Apathie. "Mehr als sechs Prozent?"
"Ich spreche von 400 Prozent in drei Monaten. Mindestens."
Der Teebeutel-Erbe erstarrte und sah ihn ungläubig an. "Das ist … unseriös. 400 Prozent Gewinn in drei Monaten? Verkaufen Sie Tulpenzwiebeln, Herr Doktor?"
"Nein, die Tulpenblase war ein Börsenwahn", sagte Dr. Weihenruh und verschränkte die Finger. "Sie erhalten etwas viel Selteneres und Wertvolleres. Ich verkaufe Ihnen Ihr Leben zurück. Es ist die sicherste Anlage der Welt: Humankapital. Genauer gesagt: Ihr Humankapital. Sie investieren in sich selbst; das ist die einzige Investition, die Sie zu 100 Prozent selbst kontrollieren können."
"Diese Investition in kognitive Psychotherapie ist seit über drei Jahrzehnten möglich."1 Aus seiner Leder-Schreibmappe zog er zog eine Broschüre, auf der ein grosses Schweizerkreuz prangte, und reichte sie Kleingläubig: "Hier ist ein Bericht zum Gesundheitsmonitoring von Bund und Kantonen. Lesen Sie bitte auf Seite 14, ich habe gelb markiert, wo sogar das Schweizerische Gesundheitsobservatorium2 bestätigt, dass dies die perfekte Investition für Sie ist."
Abb.: Psychische Gesundheit in der Schweiz. Monitoring 2016 (Obsan Bericht 72). Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium. S. 14.2
Mit staunenden Augen las Kleingläubig, "dass für jeden Dollar, der in die Behandlung von Ängsten und Depressionen investiert werde, vier Dollar Gewinn in Form von besserer Gesundheit und höherer Arbeitsproduktivität resultieren".
Dr. Weihenruh stand auf und begann, wie ein Investmentbanker bei einer Präsentation auf und ab zu gehen. "Sehen Sie, Ihr Bankberater verspricht Ihnen mickrige sechs Prozent auf Ihr Geld. Ich biete Ihnen 400 Prozent für die Investition in Ihre Lebensqualität. Jeder Franken, den Sie in sich investieren, um Ihre absurde Angst vor anderen Menschen loszuwerden, bringt Ihnen, wissenschaftlich erwiesen, mindestens den vierfachen Wert an Produktivität und, was noch viel wichtiger ist, an purer, unverfälschter Lebensfreude zurück."
Kleingläubig starrte ihn an. "Lebensfreude? Kann man das in Excel-Tabellen erfassen? Ist das inflationsbereinigt?"
"Oh, absolut!", rief Dr. Weihenruh begeistert. "Lassen Sie uns eine kleine Rendite-Kalkulation machen. Was ist der ROI, der Return on Investment, einer Panikattacke im Supermarkt?"
"Äh … negativ?"
"Korrekt! Katastrophal negativ! Was ist die Dividende, die Sie erhalten, wenn Sie es schaffen, auf der Weihnachtsfeier Ihrer eigenen Firma nicht nach drei Minuten auf die Toilette zu flüchten und dort für zwei Stunden die Kacheln zu zählen?"
"Ich … äh …"
"Der CEO-Posten, den eigentlich Sie innehaben sollten, aber den Ihr Cousin zweiten Grades besetzt, weil er es schafft, Leuten die Hand zu schütteln, ohne in Schweiss auszubrechen! Das ist eine Dividende, die in Millionenhöhe geht!"
Kleingläubig sank zusammen während Dr. Weihenruh fortfuhr, das Leben des Teebeutel-Erben zu bilanzieren.
"Ihre aktuelle Anlage in 'Soziale Isolation AG'? Performance: minus 90 Prozent. Sie zahlen drauf, jeden Tag. Sie bestellen Essen, anstatt in ein Sternerestaurant zu gehen. Kostenpunkt: entgangener Genuss, Wert unbezahlbar."
"Sie schauen Frauen nur auf Instagram hinterher, anstatt eine anzusprechen. Kostenpunkt: eine potentielle Ehe, Familie, Glück. Nennen wir es 'entgangene Glücks-Futures'."
"Ihr Bankberater verkauft Ihnen Zettelchen mit Zahlen. Ich verkaufe Ihnen die Fähigkeit, zum Bäcker zu gehen und eine Brezel zu bestellen, ohne das Gefühl zu haben, vor dem obersten Gerichtshof auszusagen!"
Kleingläubig war blass geworden. "Aber … 400 Prozent … das klingt so … einfach."
"Einfach?", lachte Dr. Weihenruh. "Es ist die härteste Arbeit Ihres Lebens! Aber der Gewinn ist phänomenal. Stellen Sie sich vor: Sie können wieder fliegen, ohne drei Beruhigungstabletten und einen ganzen Liter Gin zu benötigen. Sie können auf einer Parkbank sitzen und die Sonne geniessen, ohne zu analysieren, ob der Mann mit dem Dackel ein Auftragskiller ist. Das sind keine sechs Prozent, mein Freund. Das ist die Befreiung aus einem selbstgebauten Hochsicherheitsgefängnis. Das ist eine Rendite, die unendlich ist."
Er hielt inne und sah Kleingläubig direkt in die Augen. "Wissen Sie, was die ultimative Portfolio-Liquidation ist? Der Tod. Und wissen Sie, dass Ihr letztes Hemd keine Taschen hat? Sie können keine einzige Aktie, keinen einzigen Dollar und keinen einzigen Goldbarren mitnehmen. Aber wissen Sie, was Sie mitnehmen? Die Erinnerung an ein Lachen. Die Erinnerung an ein gutes Gespräch. Die Erinnerung daran, nicht allein in einer Villa gesessen zu haben, während Sie gesichtslosen Stimmen am Telefon Ihr Vermögen anvertraut haben."
Es war still im Raum. Nur das leise Surren der Klimaanlage war zu hören, die die teure Luft umwälzte.
Kleingläubig sah auf seine zitternden Hände, dann auf das lächelnde Gesicht von Dr. Weihenruh. Er dachte an die verlorene Million. Es war eine Zahl, mehr nicht. Dann dachte er an den Mann mit dem Dackel, den er tatsächlich einmal für einen Spion gehalten hatte. Er dachte an die unzähligen Partys, die er verpasst hatte, die Reisen, die er nie gemacht hatte, die Menschen, die er nie kennengelernt hatte.
"Okay", flüsterte er. "Ich investiere. Wann fangen wir an, dieses … Sozial-Kapital zu akkumulieren?"
"Sofort, wenn Sie es wollen", erwiderte Dr. Weihenruh und hob einen warnenden Finger, "aber es ist das seltsamste Geschäftsmodell, das Sie je kennenlernen werden."
"Inwiefern?", fragte Kleingläubig.
"Ganz einfach. Bei Ihrem Bankberater zahlen Sie, und er soll die Arbeit machen. Ein miserables Geschäftsmodell, wie wir gerade gesehen haben. Bei mir ist es genau umgekehrt: Sie bezahlen mich, und dann leisten Sie die brutal harte Arbeit selbst."
Kleingläubig sah ihn verwirrt an. "Ich soll die Arbeit machen?"
"Absolut!", sagte Dr. Weihenruh. "Stellen Sie sich mich als Ihren persönlichen Sherpa für den Mount Everest Ihrer Seele vor. Ich stelle Ihnen die beste Ausrüstung zur Verfügung, die mentalen Eispickel, die Landkarten Ihrer Denkmuster, sogar die motivationale Schokolade. Aber den verdammten Berg hochkraxeln, das müssen Sie schon selbst."
Kleingläubig sank noch mehr in sich zusammen. "Ich weiss nicht, ob ich das schaffe", murmelte er. "Ich habe diese Angst seit Jahrzehnten. Sie ist ein Teil von mir."
"Ach was, ein Teil von Ihnen!", entgegnete Dr. Weihenruh lachend und klopfte sich aufs Knie. "Sie haben jahrzehntelang geübt, Angst zu haben. Das bedeutet nur, dass Sie ein unerkannter Weltmeister im Angsthaben sind! Herzlichen Glückwunsch! Nun, wie wäre es, wenn wir diese Disziplin und Energie nutzen, um Sie zum Meister in etwas anderem zu machen? Die Arbeit des Umlernens ist hart, ja. Aber der Gewinn ist phänomenal. Stellen Sie sich das einmal vor!"
"Was, wenn ich mittendrin aufgebe?", flüsterte wieder die Angst aus Kleingläubig.
"Das darf passieren", erklärte Dr. Weihenruh mit ermutigendem Kopfnicken. "Sie werden lernen, mit Rückschlägen umzugehen. Aufgeben gehört zum Prozess, wie Gegenwind zum Radfahren. Wir laufen und steigen einfach wieder auf. Angst macht dumm und zerstört die Seele: Sie bringt immer dieselben Argumente. Wir hingegen sind kreativ, wir schreiben Gegenargumente, laminieren sie, legen sie in Ihre Brieftasche – direkt neben Ihre Black Card."
Dr. Weihenruh lehnte sich wieder zurück, sein Blick wurde sanfter. "Ihr Bankberater hat Ihnen eine Zahl auf einem Bildschirm verkauft. Ein abstraktes Versprechen. Ich biete Ihnen den Genuss, sich unter Menschen zu bewegen und sich wohlzufühlen. Ich biete Ihnen das Lachen einer Frau, die Sie auf ein Glas Wein einladen. Ich biete Ihnen den Sonnenuntergang über dem Meer, den Sie von einem echten Strand aus sehen und nicht auf Ihrem 8K-Fernseher. Das sind die lebenslangen Dividenden der 400-Prozent-Anlage. Das ist der Zinseszins des gelebten Lebens."
Langsam hob Kleingläubig den Kopf. Seine Augen waren klarer. "Okay", sagte er mit festerer Stimme. "Was kann ich tun? Wie fangen wir an … mit der Arbeit?"
Dr. Weihenruh lächelte sein breites, ehrliches Lächeln. Er reichte Kleingläubig die Hand. "Indem Sie meine Hand schütteln. Das ist der erste kleine Schritt den grossen Berg hinauf."
Und als Bodo von und zu Kleingläubig zögernd die Hand ergriff, wusste Dr. Weihenruh: So beginnt sie. Die langsame, mühsame, wunderschöne Klettertour zurück ins Leben.
Quellen
1 Luchmann, D.: Heilkunst ohne Gebetbuch — Empirische Psychologische Therapie. Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis 26 (1994) 231-241. [Buchbesprechung: Grawe, K., Donati, R., Bernauer, F.: Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur Profession. Göttingen: Hogrefe-Verlag, 1994.]
2 Schuler, D., Tuch, A., Buscher, N. & Camenzind, P.: Psychische Gesundheit in der Schweiz. Monitoring 2016 (Obsan Bericht 72). Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium, 2016. https://www.obsan.admin.ch/sites/default/files/obsan_72_bericht_2.pdf
Publiziert am 12. Juli 2025
